Die erste Kunstakademie für Zeichner, die „Accademia delle Arti del Disegno“ wurde 1563 unter der Schirmherrschaft von Cosimo I. de´ Medici, in Florenz gegründet und besaß ihr eigenes Siegelzeichen. Für die Gestaltung dieses Siegels wurde ein Wettbewerb ausgeschrieben. Einer der bekanntesten Teilnehmer, an dem Wettkampf, war Benvenuto Cellini und sein Entwurf zeigt Apollon mit Bogen, den griechischen Gott der Wahrsagekunst und der Musik. Cellini verstand sein Sinnbild folgend:

Etwas ans Licht zu bringen, das heißt Formlosigkeit zu überwinden, um einen Zustand zu erlangen, der dazu dient, Ideen in die Welt zu setzen.[1]

Wobei Formlosigkeit zu überwinden in diesem Zusammenhang wohl zwischen Form und Inhalt zu vermitteln bedeutet, um damit Ideen in die Welt zu setzen.

Die folgende Arbeit beschreibt im Wesentlichen die entwerferische Tätigkeit des Skizzierens in gestalterischen Entwurfsprozessen. Der „Disegno" steht seit der Renaissance, als eigenständige Disziplin, für das explorative zeichnerische Entwickeln. Damit wurde er als eigenständige intellektuelle Fähigkeit anerkannt. Die explorative Zeichnung wurde in der Renaissance als Werkzeug für die künstlerische Entwicklung, in den drei Hauptdisziplinen, der Malerei, der Bildhauerei und der Architektur, eingesetzt. Es wird gezeigt werden, dass die Aufgaben eines Renaissancekünstlers wesentlich breiter gefächert waren. Weswegen manche Aufgabenbereiche durchaus mit technischen Entwicklungen, oder Designaufgaben, zu vergleichen sind. Die Tatsache, dass in einem derartig breiten Betätigungsfeld ausschließlich mit Hilfe des „Disegnos“ entwickelt und in den Künstlerwerkstätten kommuniziert werden konnten, macht ihn zum Vorfahren des heutigen explorativen Zeichnens in allen gestalterischen und künstlerischen Berufen. Leonardo da Vinci und Michelangelo Buonarroti werden, als bekannteste Vertreter des „homo universalis“ der florentinischen Renaissance, unsere Erstinformanten im Aufspüren der wirkmächtigen Zusammenhänge dieses Erfolgswerkzeuges. Ergebnisse dieser ersten Analyse werden dem gegenwärtigen Umgang mit explorativem Zeichnen gegenübergestellt und zu identifizierende Zusammenhänge benannt.

Einer der hypothetischen Hauptzusammenhänge findet sich im Titel. Thomas von Aquin hat den Begriff des Habitus im Mittelalter geprägt. Er bezeichnete ihn als „eine Vermittlungsinstanz zwischen reiner Potenz und reiner Handlung.“[2]

Es wird hier untersucht werden, in welchen Zusammenhängen und Abhängigkeiten die explorative Zeichnung, ausgehend vom „Disegno“ und den damals vorherrschenden geistigen Strömungen, als Vermittlungsinstanz zwischen reiner Potenz und reiner Handlung stand und heute noch steht.

Explorative Zeichnungen enthalten häufig – scheinbar – formlose, unförmige Elemente. Es wird sich herausstellen, dass diese Elemente Abbilder von Übergängen und Transformationsprozessen, ausgehend von Ideen hin zu deren Realisierung, sind. Spezifische Reduktion und Undeutlichkeit sind Teilbereiche ihrer Verwendungseigenschaften und führen durch Transformationsprozesse zu neuen Inhalten. Bei explorativen Zeichnungen handelt es sich also um Hilfsmittel zur Vergegenwärtigung, zur Entwicklung  von Lösungen, um ein selbstreflexives Denkwerkzeug. Der Terminus der „explorativen Zeichnung“ wird in der Folge synonym für verwandte Begriffe wie Skizze, Vorzeichnung, Entwurfszeichnung, usw. verwendet.

Im ersten Kapitel werden Wortbedeutungen und Begriffsbestimmungen definiert. Es werden aufschlussreiche Bedeutungen, ihre Verwendung im allgemeinen Sprachgebrauch und etymologische Aspekte untersucht. Aus dieser ersten Betrachtungsperspektive ergibt sich ein Feld von Begriffen die im Weiteren verwendet werden.

Das zweite Kapitel widmet sich der Geschichte und beleuchtet die „Geburtsstunde“ der explorativen Zeichnung als Arbeitswerkzeug. Es folgt eine grundlegende Darstellung, der gesellschaftlichen Umstände und dem geistige Umfeld, in dem diese Entwicklung stattfinden konnte. Anhand der bekanntesten Vertreter, des damals neuen Künstlerideals in der florentinischen Renaissance, Leonardo da Vinci und Michelangelo Buonarroti wird aufgezeigt wie nahe die heutige Verwendung der explorativen Zeichnung, der damaligen Art zu arbeiten ist und was ihren nachhaltigen Erfolg ausmacht.

Im dritten Kapitel werden Fragen der Entwurfsforschung und ihr Zusammenhang mit explorativem Zeichnen erläutert. Charakteristische Eigenschaften von explorativen Zeichnungen, die Auswirkung der Bindung an zeichnerische Konventionen, ihre Funktion zur Auslagerung von Daten, die Ermöglichung des metaphorischen Austauschs von Gedächtnisinhalten, die einen Zugewinn an Informationen erlauben, werden beleuchtet.

Das vierte Kapitel befasst sich mit den neurobiologischen Aspekten des explorativen Zeichnens. Ausgehend von den Grundlagen der Wahrnehmung werden Bezüge zwischen Symbolen, Bildern und Sprache erläutert. Kants Schemata bilden die erste Überleitung zur Funktionalität des assoziativen Denkens und der Auslegung von Schemata in der Neurobiologie. Durch Betrachten des entwicklungsgeschichtlichen Zusammenhangs der menschlichen Hand- und sprachspezialisierten Gedächtnisfunktion, ergibt sich ein neuer Bedeutungskreis zwischen haptisch-motorisch und sprachlich-metaphorisch.

Im fünften Kapitel wird der gesellschaftliche Zusammenhang mit Hilfe von Bourdieus Theorie des Habitus hergeleitet. Sie stellt den Entwerfer als vergesellschaftlichtes Wesen, eingebunden in ein inkorporiertes Dispositionsnetzwerk, dar. Hier wird nicht von einer „deformation professionelle“ (französisch, etwa „berufliche Entstellung“), sondern von gesellschaftlichen Kodifizierungen, die den Menschen und sein Handeln bestimmen, ihn handlungsfähig machen, ausgegangen.

Das Kapitel sechs befasst sich mit der Stellung der Semiotik beim explorativen Zeichnen. Es wird dargestellt wie die semiotische Ordnung, als menschliche Denkstruktur, zwischen Zeichen und Bedeutungen vermittelt. Die Trinität von Objekt, Repräsentamen und Interpretant bildet die „Umschaltschaltstelle“ zwischen dem Objekt, seiner Bedeutung und dem Symbol. Sie ist gleichzeitig der Anknüpfungspunkt zu metaphorischen Gedächtnisinhalten, die beim explorativen Zeichnen angesprochen werden.

Kapitel sieben bildet die Schlusssequenz der Beleuchtung des explorativen Zeichnens und bahnt den Weg zurück in die Produktionsstätten von Entwerfern. Anhand von G. Goldschmidt´s Studie „The Dialectics of Sketching“ wird der Prozess des explorativen Zeichnens in chronologischen Abschnitten dargestellt. Dabei wird das Handeln und Argumentieren in seinen Abhängigkeiten untersucht und rezenten Aussagen von Gestaltern gegenübergestellt.

Im Kapitel acht wird die Stellung des Raumes selbst als Produktionsraum und damit als produzierendes Moment behandelt. Natürlich ist Raum auch ein einflussreicher Faktor für explorative Zeichner, doch soll dieses Kapitel in eine zukünftige Auseinandersetzung mit der Thematik, weisen.

In der Schlussbetrachtung werden gewonnene Erkenntnisse zusammengefasst, und mögliche zukünftige Untersuchungsansätze formuliert.



[1]Vgl. Hasenhütl, 2008, S. 6

[2]Vgl. Schütz in Gebauer, Gunter und Krais, Beate, 2002, S. 26

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