6.1 Einleitung

Im Prozess des explorativen Zeichnens wird mit zeichenhaftem interagiert. Wie diese Interaktion zwischen repräsentiertem, Bedeutung und dem Objekt selbst semiotisch funktioniert, soll in diesem Kapitel gezeigt werden. Die moderne Semiotik wurde von Charles Sanders Peirce begründet. Interessanterweise war Peirce kein Philosoph, sondern Naturwissenschafter, gilt aber gleichzeitig als Vater der Semiotik. Er stellt jedes Denken unter die Funktion des Zeichens.

„Wir kennen nur Fälle von symbolisch vermittelten Gedanken; alles andere wäre buchstäblich gedankenlos: wie das „Leben des Denkens“ umgekehrt, so Peirce, ein den „Symbolen inhärentes Leben“ darstellt. Damit ist ein radikaler philosophischer Stellungswechsel angezeigt: Nicht länger steht das Bewusstsein im Mittelpunk der Betrachtung, sondern das „Apriori“ der Zeichen, weil ein Bewusstsein ohne Zeichen nicht einmal vorstellbar wäre.“ [1]

Es wird dabei nicht die Natur des Zeichens auf ihren Bezug verweisend gedacht, sondern jedes Zeichen „meint etwas“. Die Form des Denkens beinhaltet eine Weise des „Gerichtetseins auf“.  Der Bezugnahme aber ist, nach Peirce, ein Zweifaches inhärent, der Verweis auf etwas und das Wenden an Jemanden. Jede Bezugsetzung ist damit im Wesentlichen ein „Bedeuten“, denken demnach ein Auslegen, Erkenntnis eine Interpretation.

6.2 Das semiotische Dreieck

Abbildung 8: Semiotisches Dreieck, eigene Zusammenführung[2]

Für Charles Sanders Peirce setzt sich ein Zeichen aus drei Elementen zusammen.

Einem Zeichen im engeren Sinne, einem Interpretant          und einem Objekt. Diese Konstituenten stehen jeweils miteinander in Beziehung. Pierces berühmte Definition des Zeichens lautet:

„Ein Zeichen oder Repräsentamen ist alles, was in einer solchen Beziehung zu einem zweiten steht, das sein Objekt genannt wird, dass es fähig ist, ein Drittes, das sein Interpretant genannt wird, dahingehend zu bestimmen, in der selben triadischen Relation zu jener Relation auf das Objekt zu stehen, in der es selbst steht, dies bedeutet, dass der Interpretant selbst ein Zeichen ist, der ein Zeichen desselben Objekts bestimmt usf.“ [3]

Mersch führt zur Erklärung hier das einleuchtende Beispiel der Katze an. Mit der „Katze“ ist nicht nur das Tier gemeint, auf das ich zeigen kann, sondern auch die gesamte Flut der Metaphern, Assoziationen und Texturen, die mit der Bezeichnung Katze verbunden sind. Der Bogen spannt sich von der Zoologie der Vierbeiner über die Psychologie der Haustiere bis zur magischen Inkarnation des Unglücks.

Wäre nun die Katze in Bezug auf „schwarze Katze bringt Unglück“ gemeint, dann würde die schwarze Katze derart konnotiert, das Repräsentamen als Symbol zu bilden, die genannte Konnotation das Interpretant und Katze im Allgemeinen das Objekt. Die Vieldeutigkeit findet im Pierceschen Dreieck in der Unabgeschlossenheit des Interpretant seine Entsprechung. Der Interpretant, sei er Vorstellung, Erinnerung, Theorie oder Metapher, wird selbst wieder zum Zeichen erklärt, damit reißt die Reihe der Deutungen nicht ab. Der Interpretant des Zeichens darf jedoch in keinem Fall mit dem Interpreten verwechselt werden, denn das Zeichen erzeugt etwas im Verstand des Interpreten.

6.3 Ikon, Index und Symbol

Abbildung 9: Beziehungsarten, eigene Darstellung

Peirce hat im Laufe  seiner Arbeiten viele Ergänzungen, Abwandlungen und Erweiterungen von Zeichenklassen entwickelt und im Wesentlichen drei Unterscheidungen in Ikon, Index und Symbol formuliert.

Ein Ikon ist eine reine Vernunftbeziehung zwischen Zeichen und dem bezeichneten Ding. Es weist die Qualität des Objektes auf.

Ein Index steht als Anzeichen für etwas, es erregt Aufmerksamkeit als Symptom. So besteht beispielsweise zwischen dem Symptom und einer Krankheit eine sachliche Verbindung.

Ein Symbol stellt eine Verbindung dar, in der der Geist das Zeichen mit einem Objekt assoziiert. Dadurch bestimmt es den Interpretant.

Abbildung 10: Ikon, Index, Symbol, eigene Darstellung

Im Zusammenhang mit explorativem Zeichnen liegt das Hauptaugenmerk auf den symbolischen Zeichen. Ein übergeordnetes Kriterium stellt hier die sogenannte Arbitarität der Zeichen dar. Damit ist die Entstehung oder Beschaffenheit einer Sache aufgrund von Willkür oder Willensentscheidung statt Naturnotwendigkeit gemeint. Der Arbitaritätsgrad gibt an, in welchem Ausmaß die Herstellung der Objektrelation von dem Interpreten des Zeichens abhängt. Das Symbol weist den höchsten Arbitaritätsgrad auf, weil es vom Interpreten nur aufgrund von Konventionen erkannt und gedeutet werden kann und die Konvention letztlich beliebig ist. Das schließt ein, dass es allgemeine, gesellschaftliche Konventionen gibt und solche, die idiosynkratisch, nur für den Verwender in dem sie sich konstituieren „lesbar“, sind.

„Ein Symbol ist wesensmäßig ein Zweck, d.h. eine Darstellung, die sich selbst bestimmt zu machen bzw. einen Interpretanten hervorzubringen sucht, der bestimmter ist als es selbst. Denn seine ganze Bedeutung besteht darin, einen Interpretanten zu bestimmen; weshalb es die Wirklichkeit seiner Bedeutung aus seinem Interpretanten ableitet.“ (sic!) [4]

Was sich im Folgenden nicht gleich erschließt ist dennoch wesentlich für das Verständnis, wie Entwerfer mit Symbolen arbeiten (wobei sich der Umkehrschluss hier ebenso anbietet).

Das Symbol ist die einzige Zeichenkategorie, die von Peirce so bestimmt wurde, dass sie notwendigerweise in allen drei Ebenen auftritt. Der Zweck des Symbols ist es, eine Bedeutung zu tragen, weshalb die Wirklichkeit seiner Bedeutung aus seinem Interpretanten abzuleiten ist. Der Interpretant des Symbols hingegen, selbst wieder ein Zeichen, stellt die Brücke zu anderen Zeichen her.

Diese kurze Darstellung des Zeichenbegriffs zeigt das transformatorische Potential auf, welches im explorativen Zeichnen unter Verwendung  von symbolischen Zuordnungen wirkt. Weiters wird damit auch eine Erklärung dafür gegeben, warum Zeichnungen beschreibend sind und sowohl Formal-symbolische, als auch sprachlich-metaphorische Zusammenhänge wirksam sind.

„Wenn ich an einem Entwurf arbeite, lasse ich mich von erinnerten Bildern und Stimmungen leiten, die ich mit der gesuchten Architektur in Verbindung bringen kann. Die Bilder, die mir einfallen, gehen in der Mehrzahl auf meine persönlichen Erlebnisse zurück und sind deshalb nur selten mit einem erinnerten architektonischen Kommentar versehen. Während ich entwerfe, versuche ich herauszufinden, was sie bedeuten, um daraus zu lernen, wie man bestimmte bildhafte Formen und Stimmungen erzeugt.

Nach einer gewissen Zeit nimmt das Entwurfsobjekt in der Vorstellung bestimmte Eigenschaften der verwendeten Vorbilder an. Und wenn es gelingt, diese Eigenschaften sinnvoll zu überlagern und miteinander zu verschränken, gewinnt das Objekt Reichhaltigkeit und Tiefe. Um diese Wirkung zu erreichen, müssen die Eigenschaften, die ich in den Entwurf einbringe, mit der konstruktiven und formalen Struktur des fertigen Hauses widerspruchslos verschmelzen. Form und Konstruktion, Erscheinung und Funktion können nun nicht mehr voneinander getrennt werden. Sie gehören zusammen und bilden ein Ganzes. [...] Alles verweist auf alles.[5]

Anhand des zitierten Textes, von Peter Zumthor, möchte ich bis hierher ausgeführtes zur Interpretation verwenden:

Es werden Bilder und Stimmungen abgerufen, die zur Entwurfsaufgabe in Beziehung zu setzen sind. In diesem Zusammenhang bedeutet das, es werden hervorgerufene Bedeutungen, mit dem Bedeutungskomplex  der Anforderung abgeglichen. Zumthor meint, es handelt sich hauptsächlich um persönliche Erkenntnisse, was sich daraus erklären lässt, dass solche als multisensorische Erfahrungen (etwa im Gegensatz zu fotografischen Darstellungen), stärker wirken (siehe auch Kapitel 4.8). Solche Erfahrungen sind jedoch emotional, wie er sagt, stimmungsartiger Natur. In der Entwurfsarbeit werden diese emotionalen Stimmungen, wieder durch sensorische Wahrnehmung, in der Beschreibung, symbolisch „überformt“. Dadurch entstehen neue Inhalte. Ihre Bedeutungen, formale und symbolische, werden in eine solche Dichte gebracht, die „Alles auf Alles verweisen lässt“, schlüssig ist, Sinn macht.

Es kann hier darüber beweis geführt werden, wie sensorische (körperliche) Erfahrungen sich symbolisch argumentierbar und sprachlich beschreibbar abbilden, in dargestellter Art wieder hergeleitet werden können, dabei schon als neue Information, in den Kontext eingegliedert werden und in wiederholten Sequenzen der Verdichtung, Sinn erzeugen.

All diese Prozesse werden natürlich vom Kontext der Aufgabe, den fachlichen Usancen, der Historizität des Feldes und den sozialen Gesetzmäßigkeiten des Habitus, determiniert.

6.4 Semiotik und exploratives Zeichnen

Die Semiotik geht davon aus, dass alle Kulturphänomene Zeichensysteme sind, das heißt, Kultur ist im wesentlichen Kommunikation. Architektur ist eines der Phänomene, das in der Semiotik in besonderem Maße auf Herausforderungen durch die Realität trifft. Deswegen steht sie hier auch stellvertretend für andere gestalterische Zusammenhänge.

Eco gibt ein Beispiel für die semiotische Zuordnung von Architektur anhand der  Höhle. Er definiert sie als „abgeschnittenen Außenraum“ und als „Prinzip eines inneren Raumes“, indem der Schutzbedürftige seine Anforderung erfüllt sieht. Er wird diesen Raum als Eingang, Deckengewölbe und Wände, die einen Raum umschließen wahrnehmen und verstehen. Dadurch wird eine „Idee von Höhle“, als Gedächtnisstütze gebildet, die fortwährend in ähnlichem Zusammenhang gedacht werden kann.

„Diese Erfahrung einer zweiten Höhle und die Vorstellung von jener ersten Höhle wird nun automatisch durch die Idee der Höhle überhaupt ersetzt. Ein Modell, eine Struktur, etwas real nicht Existierendes, aufgrund dessen er aber einen bestimmten Kontext von Phänomenen als „Höhle“ erkennt.“ [6]

Mit der Bildung dieser Struktur, hat der Mensch erkannt, dass das „Modell Höhle“ verschiedene Erscheinungsformen haben kann und somit kodifiziert ist. Diese Kodifizierung ist noch nicht vergesellschaftlicht, doch er kann sich dieses Modell selbst durch sich mitteilen. Wenn er das Höhlenmodell, durch grafische Zeichen, seinesgleichen mitteilt, entsteht aus dem architektonischen Code ein ikonischer Code und das „Prinzip Höhle“ wird Gegenstand einer kommunikativen Beziehung.

In dieser Vermittlung wird die Zeichnung, als Vorstellung der Höhle, schon zur Mitteilung einer möglichen Funktion. Sie bleibt es auch, selbst wenn die Funktion nicht erfüllt wird.

„Damit ist schon geschehen, wovon Roland Barthes (1964 a, II.1.4) spricht, wenn er sagt, dass „von dem Moment an, wo es Gesellschaft gibt, sich jeder Gebrauch in das Zeichen dieses Gebrauchs verwandelt.“ [7]

Das bedeutet für die Architektur, was mir den Gebrauch von architektonischen Formen erlaubt (vermittelt), ist nicht nur die mögliche Funktion, sondern die damit verbundenen Bedeutungen, die mich für den funktionalen Gebrauch disponieren.

Peter Zumthor spricht in einem seiner Vorträge genau über dieses Phänomen, jedoch was er mit „Stimmungen und Bildern“ umschreibt, sind die Bedeutungen des Zeichens.

„Nun wäre mir danach, fortzufahren und zu erzählen: von allen Türklinken, die auf jene Klinke am Gartentor meiner Tante folgten, und von Böden, von weichen Asphaltflächen, von der Sonne erwärmt; von Steinpflasterungen, bedeckt von Kastanienblättern im Herbst, und von Türen, die auf so unterschiedliche Weise ins Schloss fielen: die einen satt und vornehm, andere dünn und billig scheppernd, wieder andere hart, großartig, einschüchternd. [...] Erinnerungen dieser Art beinhalten die am tiefsten gegründeten Architekturerfahrungen, die ich kenne. Sie bilden den Grundstock von architektonischen Stimmungen und Bildern, den ich in meiner Arbeit als Architekt auszuloten versuche.“ [8]

Eco führt das treffende Beispiel der Treppe an, anhand dessen ich einen Zusammenhang mit dem semiotischen Dreieck herstellen möchte:

„Mit anderen Worten, in der kulturellen Situation, in welcher wir leben, gibt es eine architektonische Struktur, die definiert werden kann als /aufeinanderliegende Rechtecke, deren Basen nicht zusammenfallen, sondern durch deren fortschreitende Verschiebung in konstanter Richtung sich Oberflächen bilden, die praktikabel sind auf Ebenen, welche sich nacheinander und fortschreitend immer mehr erhöhen im Verhältnis zur Ausgangsebene. Diese Struktur denotiert das Signifikat „Treppe als Möglichkeit des Hinaufsteigens“ aufgrund eines Codes, den ich aufstellen und als wirksam erkennen kann, auch wenn in Wirklichkeit niemand diese Treppe zur Zeit hinaufsteigt [...]“ (sic!)[9]

Also denotiert (bezeichnet) das architektonische Objekt Treppe eine Form des „Hinaufsteigens“, das wir als die „Idee einer Treppe“ kennen. Umgelegt auf das semiotisches Dreieck bedeutet das:

die architektonische

Struktur steht an der Spitze

als Bezeichnendes

 

das physische                                                                                                        das Signifikat

architektonische                                                                                                     ist die „Idee

Objekt ist das Zeichen                                                                                            der Treppe“

 

„Diese semiotische Zuordnung erlaubt es uns in den architektonischen Zeichen beschreibbare und katalogisierbare Signifikanten zu erkennen, die präzise Funktionen denotieren können, wenn man sie mit Hilfe bestimmter [gesellschaftlicher] Codes interpretiert; und diese Signifikanten können sich mit sukzessiven Signifikaten auffüllen [...]“ [10]

Im Hinblick auf das explorative Zeichnen bedeutet das, ein Architekt kann ein angedeutetes Fenster entwerfen, dessen Funktionalität nicht gegeben ist, dessen kommunikativer Kontext aber (mit der aufrechten Denotation „Idee von Fenster“, eine ästhetische Funktion evident macht) funktioniert . Jedoch konnotiert die Form, die Anzahl, ihre Anordnung an der Fassade eine global-gesellschaftliche Ideologie, die den Architekten bei seiner Arbeit beeinflusst.

„Der Mensch hat eine Fähigkeit ausgebildet, Beziehungen zu isolieren – sie in ihrer abstrakten Bedeutung zu verstehen. Um diese Bedeutung zu erfassen, ist er nicht mehr auf konkrete Sinneseindrücke, auf visuelle, akustische, taktile, kinästhetische Daten angewiesen. Er betrachtet diese Beziehungen „an sich“, wie Platon sagte.“ [11]

Diese vergesellschaftlichten Kodifizierungen (siehe Kapitel 5) werden von der Masse der Nutzer unterschwellig wahrgenommen.

„Zerstreuung und Sammlung stehen in einem Gegensatz, der folgende Formulierung erlaubt: Der vor dem Kunstwerk sich Sammelnde versenkt sich darein; [...] Dagegen versenkt die zerstreute Masse ihrerseits das Kunstwerk in sich. Am sinnfälligsten die Bauten. Die Architektur bot von jeher den Prototyp eines Kunstwerks, dessen Rezeption in der Zerstreuung und durch das Kollektivum erfolgte.“ [12]

Der Architekt und der Nutzer sehen sich immer Formen gegenüber, die auf kodifizierten Lösungen einer zu erfüllenden Funktion basieren. Das ist der Grundvorrat aus dem der Architekt schöpfen muss, denn die Form bezeichnet die Funktion nur auf Basis eines Systems von erworbenen Erwartungen und Gewohnheiten, also auf Basis von Codes.

Juan Ignacio Vidarte, Direktor des Guggenheim Museum Bilbao berichtet dazu:

„Ich weiß nicht, wer das sagte, ich glaube ein britischer Journalist, aber er sagte es sieht aus, wie etwas Außerirdisches, das vor einem Jahrhundert hier gelandet ist. Es sieht fremd aus, wenn man es neben den anderen Gebäuden sieht, aber gleichzeitig hat man das Gefühl, dass es hierher gehört [...]“ [13]

Das ist der Moment in dem vom „lesbaren“ Entwurf gesprochen wird, denn auch abseits von rein funktional determinierten Bereichen einer Entwurfsaufgabe, muss Form – wenn auch vage - als stimmig interpretierbar sein.

„Siehst Du, wie Es sich entfaltet und wie einladend Es ist? Es zieht Dich rein. Diese Fassade ist nicht frontal. Und diese Kurve führt direkt rein.“ [14]

Hier beschreibt Frank Gehry anhand eines Arbeitsmodells den Entwurf einer Fassade – ja eigentlich ihre gestischen Qualitäten. Das ist der beste Beweis dafür, dass es sich hier um Kommunikation handelt, denn wenn Codierung und Decodierung keinen funktionalen Zusammenhang bilden, wird der architektonische Gegenstand zum Kunstwerk.

„Es muss klar sein, dass sich die symbolischen Konnotationen als funktionelle verstehen, nicht nur im metaphorischen Sinne, sondern insofern sie einen sozialen Gebrauchswert des Gegenstandes mitteilen, der nicht unmittelbar identisch ist mit der „Funktion“ im strengen Sinne.“ [15]

Man denke an Repräsentationsgegenstände und –bauten wie einen Thron, einen Triumphbogen, usw., die eine zweite Funktion konnotieren.

„Wenn die Interpretationsregeln für das Objekt gegeben sind, lassen sich die Darstellungsregeln für den Entwurf daraus ableiten, im Sinne von Notierungsregeln einer nicht geschriebenen Sprache nach konventionalisierten Verfahren für den Bereich schriftlicher Fixierung (so wie die Transkription der verbalen Sprache nach Regeln der schriftlichen Notation verbaler Elemente – wie Phoneme und Moneme – vor sich geht). Das ändert nichts daran, dass eine Semiotik des Entwurfs Probleme von gewissem Interesse aufwerfen dürfte, weil in einem Entwurf verschiedene Notationssysteme existieren (ein Grundriss wird nicht wie ein Schnitt kodifiziert) und weil in diesen verschiedenen Notationssystemen ikonische Zeichen, Diagramme, Indexe, Symbole, Qualizeichen, Sinzeichen etc. gleichzeitig vorkommen, so dass die gesamte Peircesche Zeichenskala erfüllt wird.“ [16]

Man darf diese Überlegungen nicht verallgemeinern, sie stellen lediglich Anknüpfungspunkte zu Teilbereichen dar Jeder Gestalter wird sich gegen ein rein deterministisches Modell wehren, doch sind bisher dargestellte Einflussfaktoren nicht von der Hand zu weisen. Den Entwerfenden Menschen als „Tabula Rasa“[17] gibt es aber freilich nicht.

Aber trotzdem - zurecht - Bedenken über die rein semiotische Zuordenbarkeit von architektonischen Entwürfen angemeldet werden, fasse ich hier zusammen:

-      Architektur ist Kommunikation.

-      Sie ist gesellschaftlich codiert.

-      Sie disponiert für funktionalen Gebrauch.

-      Sie bezeichnet 1. kanonisierte funktionale Bedeutungen.

-       Sie bezeichnet2. kanonisierte symbolische Bedeutungen.

-      Diese Bedeutungen sind mit Hilfe der Codes „lesbar“.

-      Durch Kenntnis der Interpretationsregeln, können auch Regeln für den Entwurf abgeleitet werden.

„Wenn wir im walde einen hügel finden, sechs schuh lang und drei schuh breit, mit der schaufel pyramidenförmig aufgerichtet, dann werden wir ernst, und es sagt etwas in uns: hier liegt jemand begraben. Das ist architektur.“ (sic!) [18]

Ich möchte ergänzen, dass dieses starke Beispiel für gesellschaftlich codierte Gestaltung schlechthin gilt.

Daraus folgt, es besteht die Möglichkeit neue Rhetoriken[19] zu erfinden, die mit anderen ideologischen Perspektiven Verbindungen eingehen und zu einer ständigen Erfindung von Zeichen und Kontexten führt, diese wiederum derartige Strukturen bilden, usw...

„Die geometrischen Formen, die Ledoux benutzte, waren wie die Buchstaben des Alphabets – sie bildeten sozusagen das Gerüst für den Ausdruck; wenn sie gleichzeitig symbolische oder sinnbildliche Botschaften vermitteln konnten – um so besser.“ [20]

Wenn man so will, ist die „Grammatik“ dieser Rhetorik, jene des Bauens, der Baukonstruktionslehre und diese klassifiziert schon verwirklichte Lösungen der Botschaft. Deutet doch Vielmehr alles darauf hin, dass zwar ein Wortschatz vorhanden ist, aber keine Grammatik und die Anordnung des Syntagmas[21] ist ungeklärt. Die Architektur kann dem Architekten niemals alleine alle Regeln geben.

„Er [der Architekt] ist gezwungen, Formen für Systeme von Forderungen zu finden, über die er keine Verfügung hat, und eine Sprache zu artikulieren, nämlich die der Architektur, die immer etwas anderes als sich selbst aussagen muss, (das kommt bei der verbalen Sprache nicht vor, die auf der ästhetischen Ebene mit ihren eigenen Formen sprechen kann; auch nicht bei der Malerei, die als abstrakte Malerei ihre eigenen Gesetze darstellen kann; noch weniger bei der Musik, die immer nur syntaktische Beziehungen innerhalb des eigenen Systems organisiert), - der Architekt ist aus der Natur seiner eigenen Arbeit dazu gezwungen, die Totalität zu denken, und zwar gerade sofern er zum spezialisierten Techniker für einen Teilbereich wird und sich mit spezifischen Arbeiten und nicht mit metaphysischen Deklarationen zu befassen hat.“ [22]

Sobald der Architekt aber außerhalb der Architektur den architektonischen Code sucht, muss er die signifikanten Formen so gestalten, dass sie auch anderen Lesecodes genügen. Frank Gehry hat uns beispielhaft interpretierbare Qualitäten übersetzt, mit denen in solchen Fällen verhandelt wird.

Der amerikanische Architekt Richard Meier meint:

„Ich denke, das ist es, was ich versuche zu tun. Ich versuche, eine Methode zu finden, eine Art zu bauen, die für den Menschen eine Bedeutung hat und sich auf die Idee des Ortes bezieht. [...] Ich glaube, dass die Verantwortung des Architekten darin besteht, ein Gefühl für Ordnung, ein Gefühl für den Ort und ein Gefühl für Bezüge zu schaffen. Diese Ideen wohnen der Architektur inne. Präzision und Bezüge sind mir daher sehr wichtig, um Ideen und Bezüge so deutlich wie möglich zu artikulieren und um ein Gefühl für Ordnung herzustellen.“ [23]

Auch Richard Meier spricht von Lesecodes und ihren Gewohnheiten. Ohne Rücksichtnahme auf Sie geht das kommunikative Moment verloren. Die Begriffe Ordnung, Bezüge und deutliche Artikulation betreffen, wie bei Zumthor, die Dichte als erkennbaren Sinn.

Der Soziologe Dirk Baecker im Interview mit Rem Koolhaas:

Becker:     „Es sollte eigentlich für einen Theoretiker möglich sein, einen Mechanismus für alle Dinge zu finden. Einen Mechanismus des Theaters, einen Mechanismus der Architektur, der Soziologie, usw. Vielleicht könnte ein Mechanismus der Architektur aus der Unterscheidung zwischen öffentlich und privat bestehen. Oder innen und außen, oben und unten. Die Artikulation dieser Unterschiede ist der Mechanismus, der ein Gebäude entstehen lässt [...]“

Koolhaas:„Eine andere Möglichkeit, eine Synthese unserer Arbeit zu schaffen, ist zu versuchen, einen Weg zu finden, in der die Sachen unbestimmt bleiben können, aber trotzdem eine Identität, eine Form haben. Fast jedes unserer Projekte beginnt mit der Erkenntnis, dass nichts 100 Prozent vorhersehbar ist, aber dass gewisse Strukturen entwickelt werden können, die Etwas Form geben, denn man braucht Form, um reagieren zu können. Deshalb glaube ich [...]“

Becker:     „Also geht es um Komplexität und Form?“

Koolhaas: „Ja, Als Widersprüche, ja.“ [24]

Koolhaas beschreibt hier eine Grundfrage für ikonische Gebäudeteile. Wie steuert man, er spricht von Identität, symbolische Inhalte in einer Form, sodass ihre Bedeutung weitestgehend bestimmt, aber dennoch interpretierbar, bleibt (siehe Kapitel 3.7). Man braucht Form um mit ihren symbolischen Inhalten reagieren zu können. Der Widerspruch zwischen Komplexität und Form ist – Dichte im Ausdruck!

6.6 Fazit

Aus der semiotischen Betrachtung von Gestaltungsaufgaben lassen sich Darstellungsregeln für den Entwurf ableiten. Gestaltung ist Kommunikation, sie ist gesellschaftlich codiert, sie disponiert für einen funktionalen Gebrauch, sie bezeichnet funktionale und symbolische Bedeutungen, diese Bedeutungen sind mithilfe von Codes lesbar. Entwerfer argumentieren, innerhalb dieses Rahmens des explorativen Zeichnens, auch rhetorisch.



[1]Mersch, 1998, S. 16

[2]In der Grafik wurden Bezeichnungen von Frege, Hjelmslev, Peirce, Sassure, ua. zusammengeführt.

[3]Mersch, 1998, S. 17

[4]Mersch, 1998, S. 54

[5]Zumthor, 2007, S. 26

[6]Eco, 2002, S. 297

[7]Barthes in Eco, 2002, S. 298

[8]Zumthor, 2007, S. 7

[9]Eco, 2002, S. 304

[10]ebenda, S. 306

[11]Cassirer, 2007, S 67

[12]Benjamin, 2006, S. 70

[13]Vidarte in Pollack, 2008

[14]Gehry in Pollack, 2008

[15]Eco 2002, S. 311

[16]ebenda, S. 326

[17]Schon Aischylos spricht davon, dass sich die Erlebnisse “in die Tafeln der Sinne“ eingraben. Nach Arnim Regenbogen, Uwe Meyer: Wörterbuch der philosophischen Begriffe. Meiner, Hamburg 2005.

[18]Loos in Ungers, 2002, S. 375

[19]Die Rhetorik ist ein fachübergreifendes Grundwissen, denn sie beschäftigt sich mit "Themen, deren Erkenntnis allen Wissenschaftsgebieten zuzuordnen ist. Sie wird verstanden als eine argumentative Technik (oder Kunstfertigkeit; griech. téchne), die von allen Menschen - intuitiv oder professionell - gebraucht wird. Die Rhetorik wird definiert als die Fähigkeit, "das Überzeugende, das jeder Sache innewohnt, zu erkennen", "Überzeugendes und scheinbar Überzeugendes", "Wahrheit und der Wahrheit Nahekommendes" zu jedem beliebigen Gegenstand aufzufinden (heuresis), zu ordnen und sprachlich geschickt zu gestalten.

Rhetorik ist eine Kunst der Überzeugung und nicht der Überredung.

Der zentrale Begriff ist daher das Wahrscheinliche (eikós) oder Glaubwürdige (pithanón). "Das Wahrscheinliche zu treffen heißt in der Mehrzahl der Fälle gleichviel wie die Wahrheit zu treffen", das heißt, etwas, was wohl in den meisten Fällen zutrifft. Der Rhetoriker muss sich nicht um die "Wahrheit der Dinge" kümmern, sondern bedient sich allgemein verbreiteter Meinungen (doxa), nächster Verlässlichkeiten und wahrscheinlicher Sätze. Es handelt sich also nicht um eine philosophische Methode, sondern eine systematische Lehre einer gesellschaftlichen Praxis.

[20]Vidler in Ungers 2002, S. 102

[21]Von griechisch, syntagma, „Zusammengesetztes“ oder „Verfassung“, bezeichnet in der Linguistik

     eine Gruppe grammatikalisch und syntaktisch zusammengehöriger Wörter.

[22]Eco, 2002, S. 352

[23]Meier in Jodidio, Philip, 2010, S. 12

[24]Baecker und Koolhaas in Heidingsfelder und Tesch, 2007

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