Es konnte gezeigt werden, dass sich der weitverbreitete Gebrauch der explorativen Zeichnung in Sprache und Wortbedeutungen festgeschrieben und aussagekräftige Spuren über die Verwendung hinterlassen hat. Die etymologischen Spuren weisen auf die Eigenart des explorativen Zeichnens hin, das bis heute eine wesentliche Rolle in der Entwurfsproduktion spielt.

Explorative Zeichnungen sind von schnellem Handeln geprägt, sie sind keine perfekten Darstellungen der Realität und sie bilden dadurch einen „Möglichkeitsraum“. In dieser unperfekten, abstrahierten, Umgebung werden symbolhafte Interpretationen möglich. Es wird also etwas nicht Reales, Unfertiges, dafür verwendet, um mit dem Erfahrungswissen des Entwerfers symbolisch zu interagieren. Um etwas in der Zukunft liegendes zu gestalten. Damit ist der Nachweis geführt, dass exploratives Zeichnen ein Denkinstrument darstellt, und somit Wissenserwerb die Folge dieser Anwendung ist.

Nicht nur beim gestalterischen Entwerfen werden Entwürfe zeichnerisch entwickelt, auch in künstlerischen Prozessen wird diese Arbeitsweise angewandt. Leonardo da Vinci und Michelangelo haben tausende Blätter hinterlassen. Es wurde gezeigt, dass die Renaissance die Geburtsstunde dieser Art zu Denken war. Objekte perspektivisch zu drehen, Figurenstudien aneinanderzureihen, übereinanderliegend zu zeichnen, zu spiegeln, und vieles mehr, war davor nicht üblich. Michelangelo hat diese Erfindung Leonardos weiterentwickelt und für seine Architekturprojekte perfektioniert. Diese Arbeitsweise unterscheidet sich bis heute nicht von seiner.

Es wurden verschiedene Arten von Zeichnungen in der architektonischen Entwurfsproduktion klassifiziert und in öffentliche, allgemein lesbare und private, idiosynkratische, eingeteilt. Es hat sich herausgestellt, dass auch grafische Konventionen den Entwurfsprozess steuern.

Im gestalterischen Entwerfen wird dann gezeichnet, wenn der Entwerfer sich etwas nicht mehr vorstellen kann. Das Gehirn des Zeichners kann nur eine bestimmte Datenmenge fassen. Die Zeichnung stellt einen externen Datenspeicher dar und bildet so die Bühne für Transformationen. Aus diesen Gründen sind Tempo und Reduktion auf Wesentliches wichtig, das ökonomisiert die Zeichendauer. Die reduzierten Formen dienen als Metaphern und Symbole, um in ihrer Ambiguität Assoziationen zwischen Gewusstem und Neuen zu bilden.

Im Prozess des explorativen Zeichnens werden Fragen der Form und der Bedeutung, auch wesentlich durch rhetorische Stilfiguren, beeinflusst. Die  Umformung eines Begriffes, in eine zeichenhafte Metapher, ist eine (suchende) Beschreibung. Der umgekehrte Weg, eine Argumentation. Somit unterliegt der menschliche, assoziativ denkende Betrachter, in beiden Richtungen Gesetzmäßigkeiten der Rhetorik.

Jeder Mensch benutzt die Zeichnung in seiner Kindheit, um Erfahrungen der äußeren Welt, intern abzubilden. Kants Schemata stellen ein Bindeglied zwischen der Erkenntnistheorie und der Neurobiologie dar. Das Schema ist das übergeordnete Organisationsprinzip für mentale Repräsentationen, das kantische Urteil stellt die Verbindung des Gesehenen mit den Vorstellungen des Verstandes, also das Repräsentationssystem selbst dar. Ein neues eingangsseitiges visuelles Bild passt zu einer mentalen Repräsentation und wird in der Verknüpfung mit dieser, eine neue Repräsentation mit Bezügen zu beidem.

Die Betrachtung des explorativen Zeichners als vergesellschaftlichtes Wesen ergab erhellende Beziehungen über, in den Körper eingeschriebene, gesellschaftliche Regeln. Das Tun selbst, wird in Pierre Bourdieus Theorie des Habitus, zur inkorporierten Erfahrung, die grammatische Strukturen bildet und ihn situationsunabhängig handlungsfähig macht. Die soziale Realität existiert sozusagen zweimal, in den Sachen und in den Köpfen, in den sozialen Feldern und dem Habitus, innerhalb und außerhalb der Akteure. Damit führt Bourdieu Thomas von Aquins Aussage, die in meinem Subtitel steckt, in die Gegenwart.

Der Zeichenschüler erlernt das explorative Zeichnen durch zusehen, ausprobieren und einüben. Dadurch bildet er seinen persönlichen Erfahrungsschatz aus. Dieser wird in allgemeingeschichtliches und soziales Gesamtwissen der kulturellen Bezüge eingebettet und ermöglicht das Reagieren in der Entwurfshandlung.

Der Körper fungiert also nicht nur als Medium, das den Habitus ausdrückt, sondern er dient förmlich als Speicher sozialer Erfahrung.

Aus der semiotischen Betrachtung der Architektur lassen sich Darstellungsregeln für den Entwurf ableiten. Architektur ist Kommunikation, sie ist gesellschaftlich codiert, sie disponiert für einen funktionalen Gebrauch, sie bezeichnet funktionale und symbolische Bedeutungen, diese Bedeutungen sind mithilfe von Codes lesbar. Auch  in diesem Zusammenhang argumentieren Entwerfer rhetorisch.

Texte, einzelne Wörter und physische Modelle dienen, wie Bilder als visuelle Darstellungen. Diese verschaffen dem Entwerfer einen direkten Zugang zu Informationen, die sie in sich tragen und helfen Entwurfsprobleme zu lösen.

Der Entwurfsprozess läuft stufenförmig ab. In der ersten Stufe werden so viele Informationen als möglich gesammelt. In dieser Stufe wird noch nicht gewertet, es wird ein Interpretationsspielraum gebildet. In der zweiten Stufe wird die Problemstellung erkannt, das ermöglicht Antworten auf spezifische Fragen zu finden. Die dritte Stufe konstituiert sich als ordnendes Element in diesem Ablauf. Durch Skizzieren werden eine Reihe von Formen, die zueinander Bezug haben, getestet und zugeordnet. Der Generierungsprozess endet wenn der Entwerfer eine Form akzeptiert hat und er beginnt, sie mit kommunikationsunterstützenden Elementen zu versehen.

Die explorative Zeichnung unterstützt interaktive Vorstellungen, durch laufende Produktion von Bildern, die eine Schlüsselposition im visuellen Denken haben. Beim Arbeiten ohne Skizzen oder der Verwendung von abstrakten Darstellungen werden ähnliche visuelle Denkprozesse in Gang gesetzt.

Ähnlich dem Skizzenpapier, das als transformatorisches Medium dient, stellt der Raum eine Auswahl an metaphorischen Bedeutungen dar, einen Raum von Ambiguitäten. In seiner letztgültigen Unbestimmtheit bildet auch Er einen Möglichkeitsraum, der den Prozess determiniert.

Die Erkenntnisse aus dieser Arbeit haben weiterführende Fragen über Beziehungen zwischen explorativem Zeichnen, performativen Elementen, der Körperlichkeit, Zusammenhänge in der Bildwissenschaft und vieles mehr, aufgeworfen.

Unmittelbar aber wird evident, dass dem explorativen Zeichnen originäre Wissensproduktion zuzugestehen ist. Wie sich gezeigt hat, wird Potentialität nicht einfach durch Wahrnehmung erkannt, sondern sie ist determiniert von komplizierten psychologischen und neurologischen Mechanismen, Emotionen, Gewohnheiten und der persönlichen Erfahrung.

Zum handlungsfähigen Individuum im Prozess des explorativen Zeichnens aber machen uns inkorporierte körperlichen und habituelle Erfahrungen und die Gesetzmäßigkeiten des Feldes.

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